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Mittwoch, 30. März 2011

Vom Leben und Sterben, dort und hier

Japans Schrecken macht uns fassungslos. Ein Inferno bricht über ein ganzes Volk herein, Unzählige fanden den Tod in den Fluten oder werden der radioaktiven Strahlung zum Opfer fallen. Gott hilf.

Doch warum macht uns das unsagbare Leid am anderen Ende der Welt so betroffen, während uns die viel größere Humankatastrophe in unserem eigenen Land scheinbar kalt lässt? In Deutschland leben ca. 800.000 Menschen in Pflegeheimen. Die durchschnittliche Verweildauer in diesen ehemals grauen, heute bunten Residenzen beträgt nach seriösen Schätzungen, die fehlende Statistiken ersetzen müssen, weniger als ein Jahr, dann wird gestorben. Am Rand: Der Pflegefall in den eigenen vier Wänden erstreckt sich durchschnittlich über 8 Jahre.


Etwa eine Million Menschen sterben also jährlich in deutschen Pflegeheimen. Nach dem aktuellen Prüfbericht des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen leiden über 34 Prozent aller Heimbewohner an Mangelernährung, sie bekommen nicht das Lebensnotwendige zu essen und zu trinken verabreicht. Selbst bei gutwilliger Unterstellung, dass diese Mangelernährung nur bei der Hälfte der von ihr betroffenen Heimbewohner die Todesursache ist, bleiben jährlich immer noch weit über 100.000 Menschen, die hier in Deutschland, mitten unter uns, verhungern und verdursten, die ihrem eigenen Super-GAU entgegen siechen. Noch ehe Sie diesen Brief zu Ende gelesen haben, ist es wieder einer mehr geworden. Es sind unsere eigenen Großeltern, Eltern, Freunde und ein Heer von Namenlosen, die keiner mehr kennt.


Doch nicht das macht uns betroffen, sondern das weite Japan, das rund um die Uhr in unsere Wohnzimmer flimmert. Und wenn sich unsere mitfühlende Seele nach Erleichterung sehnt, bleibt uns die Überweisung aufs Spendenkonto, per Online-Banking, vom heimischen Sofa aus. Oder wir schalten ab.


Warum ist das so? Schauen wir nach Japan, weil wir den Blick auf unser eigenes Land nicht ertragen? Weil Bilder von vor sich hinvegetierenden Menschen nicht so spektakulär sind wie eine Monsterwelle? Weil ein einvernehmliches, stillschweigendes Abkommen zwischen Politik, Medien, Wirtschaft und Gesellschaft besteht, sich mit diesem, zugegeben, unbequemen, wenig spektakulären Thema zu konfrontieren, aus verschiedensten Motiven? Weil uns an der Katastrophe in Japan keine Schuld trifft, sehr wohl aber an den Zuständen im eigenen Land?


Dabei hätten wir so viel zu gewinnen: Ein ruhiges Gewissen gegenüber unseren Pflegebedürftigen, die wir selbst einmal sein werden und der Verlust der Angst, im Ernstfall evakuiert zu werden in eine Umgebung, die kontaminiert ist von Tod und Siechtum.


Es bringt nichts, zu verdrängen was jeder weiß. Das zeigt Japan. Das Alter lässt sich nicht aufhalten, es kommt so sicher und unerbittlich wie der nächste Atomunfall. Ein dreimonatiges Moratorium hilft da genauso wenig wie eine zweijährige Pflegeauszeit. Angesichts des Bedrohungsszenarios sind solche Vorschläge eher als zynisch zu empfinden.


Nicht dass Spenden falsch wäre. Geben und Helfen sind unmittelbare Gesten des Mitgefühls.

Doch es bleibt ein fader Beigeschmack, wenn aus unserer Betroffenheit für das Leid in Japan keine mitfühlende Tat am Nächsten erwächst. Die Losung "think global, act local" gilt heute mehr denn je. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es, wusste Erich Kästner. Also wenden wir uns doch den Ärmsten der Armen mitten unter uns zu, auch wenn es anstrengend und schmerzhaft sein könnte.

Von Hannah Arendt stammt die Mahnung, dass keiner das Recht hat zu gehorchen. Also verweigern wir endlich jenem bedrohlichen Geflecht die Gefolgschaft, das aus eigener Verdrängung besteht, aus doppelzüngiger, nur noch in Wahlperioden agierender Politik und aus mächtigen Wirtschafts- und Interessenverbänden, die gerade dabei sind, unsere Zukunft zu verspielen. Keiner will verstrahlt werden und keiner will ins Heim. Atommeiler können abgestellt werden, Pflegeheime auch. Es braucht nur den Willen eines freien Volkes und die mutige Investition in unsere eigene menschenwürdige Zukunft.